„Wir wollten wissen, wie es armutsbetroffenen Familien und ihren Kindern gerade geht. Wie schlecht sie ihre eigene Lebenssituation seit Corona einstufen, hat selbst uns erschüttert“, sagt Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich. Die Ergebnisse zeigen, wie sehr diese Familien unter den finanziellen und emotionalen Mehrbelastungen durch die Krise leiden. Die Stimmen der Betroffenen bestätigen übereinstimmend das negative Bild, das Expert*innen in den letzten Wochen für armutsbetroffene Kinder gezeichnet haben.
Lebensqualität in Schulnoten zwischen 4 und 5
50 Prozent der Befragten haben ihre aktuelle Lebensqualität in Zeiten von COVID mit der negativen Schulnote 4 bis 5 beurteilt. Vor Corona hat keine dieser Familien ihre Lebenssituation mit einem Fünfer bewertet und nur 7 Prozent mit einem Vierer. Eine enorm hohe Steigerung, die ein bezeichnender Gradmesser für den verstärkten Benachteiligungseffekt von armutsbetroffenen Kindern in der Krise ist.
Mehr Sorgen um die Zukunft
Mehr als Dreiviertel aller Befragten (79 Prozent) gab an, sich jetzt noch mehr Sorgen über die Zukunft zu machen. Über die Hälfte (55 Prozent) sorgen sich auch, dass ihre Kinder in der Schule nicht gut abschließen werden. Auf die Hälfte der befragten Familien (51 Prozent) hat sich die Corona-Krise finanziell negativ ausgewirkt. Ein recht hoher Prozentsatz, wenn man bedenkt, dass ihr Einkommensniveau schon vor Corona unter der Armutsgefährdungsschwelle lag.
Kinder sind trauriger, einsamer und aggressiver
Auf die Frage, ob und wie sich die Emotionalität ihrer Kinder in der Corona-Krise verändert hat, gaben jeweils mehr als die Hälfte der Eltern an, dass ihre Kinder trauriger (74 Prozent), einsamer (57 Prozent) oder aggressiver (53 Prozent) waren als zuvor.
Spannend auch: Rund ein Viertel der Kinder (23 Prozent) waren erleichtert, dass sie nicht in die Schule mussten. Und ein Fünftel (20 Prozent) war fröhlicher, weil für sie schwierige Situationen wie etwa Mobbing endlich weggefallen sind.
Erleichterung durch Schulschließung
Aus der Kinderarmutsforschung ist bekannt, dass armutsgefährdete Kinder multiple Benachteiligungen erfahren. Sie haben weniger soziale Kontakte, sind häufiger psychisch belastet und erleben den Schulbetrieb als herausfordernd.
Das bestätigen auch die Ergebnisse der Umfrage der Volkshilfe: Rund ein Viertel der Kinder (23 Prozent) waren erleichtert, dass sie nicht in die Schule mussten. Und ein Fünftel (20 Prozent) war fröhlicher, weil für sie schwierige Situationen wie etwa Mobbing endlich weggefallen sind.
Hohe Belastungen beim Home Schooling
Rund zwei Drittel aller Betroffenen, die befragt wurden, beschrieb die Situation, dass ihre Kinder während der Krise nicht mehr in die Schule beziehungsweise den Kindergarten gehen konnten, als sehr bis ziemlich belastend. Viele berichten von finanziellen Problemen, wegen der Mehrkosten durch das Home Schooling. Neben den bekannten Herausforderungen, wie fehlenden Laptops oder Internetzugang, sowie Mangels an Lernraum, nannten die Meisten (58 Prozent), dass ihnen das Wissen fehle, um ihren Kindern bei den Aufgaben helfen zu können. Auch der Mangel an Zeit, um den Kindern zu helfen wurde als häufiges Problem genannt (38 Prozent). Beides verweist auf den Zusammenhang zwischen Armut und Bildung, sowie die intergenerationale Weitergabe von Armut.
Zwei Drittel der befragten Elternteile gab an, dass die Kontakte mit den Lehrkräften und die Unterstützung durch die Schule ausreichend vorhanden waren. Dieses Ergebnis deckt sich mit einer Umfrage des IHS unter Lehrer*innen, die sagt, dass rund ein Drittel (36 Prozent) der als benachteiligt eingeschätzten Kinder durch das Lehrpersonal nicht oder nur schlecht erreicht werden konnten.
Kinder mit besonderen Bedürfnissen wurden vergessen
Bei den geführten Interviews klagten mehrere Eltern, dass auf Kinder mit besonderen Bedürfnissen vergessen werde. Mütter und Väter berichteten von ihren Kindern, die unter Lernschwächen, ADHS, Legasthenie oder Dyskalkulie leiden, durch die das Home Schooling deutlich erschwert wurde. Von ähnlichen Schwierigkeiten berichten auch die Eltern eines Kindes mit Asperger Syndrom. Die Tochter einer anderen Familie kann immer noch nicht in die Schule gehen, da sie zur Risikogruppe gehört.
Für die Förderung von Kindern, die spezifische Bedürfnisse haben, gibt es Fachkräfte wie speziell ausgebildete Trainer*innen, eigene Lehrpläne, Kleinklassen etc. Das alles an die Eltern auszulagern, kann schlichtweg selbst unter besten Voraussetzungen nicht funktionieren. Hier wurden Kinder und Eltern zurückgelassen.
„Die Maßnahmen der Regierung – wie die Einführung der Sozialhilfe neu sowie die geplante Änderung des Familienbonus Plus – sorgen de facto leider für schlechtere Lebensbedingungen von hunderttausenden Familien in Österreich“, kritisiert Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich.
Auch der beschlossene Bonus von 360 Euro für jedes Kind, ist als Einmalzahlung für armutsgefährdete Familien vollkommen unzureichend. Die versprochenen weiteren 30 Mio. Euro aus dem Familienhärtefonds, sind eine wichtige akute Hilfe für Familien in Not, lassen aber ebenso eine regelmäßige und dadurch nachhaltige Unterstützung für armutsbetroffene Familien vermissen.
„Kurzarbeit, Rekordarbeitslosigkeit und die neue Sozialhilfe stellen einen gefährlichen Brandbeschleuniger für die Ausbreitung von Kinderarmut in Österreich dar. Einmalzahlungen können diesen Brand nicht stoppen. Dazu braucht es nachhaltige Unterstützung. Oder wir zementieren den prekären Status von über 300.000 Kindern auch für die kommenden Jahre weiter ein“, so Fenninger.
Eine staatliche Kindergrundsicherung
Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 75 Prozent
Nachhaltige Unterstützung statt Einmalboni
Gezielte finanzielle Förderung statt Gießkannenprinzip
Sich dem UN-Ziel „Hochwertige Bildung" verpflichten:
Garantie des mittleren Bildungsabschlusses für alle Kinder
Bundesweiter Ausbau von Schulsozialarbeit
Eine armutssensible Pädagogik in allen Kindergärten und Schulen implementieren, mit Konzentration auf Ermächtigung und Teilhabe
Erhebung zum konkreten Wissensstand von Kindern, um gezielte Angebote setzen zu können und zu wissen wie der Corona-Lockdown sich tatsächlich ausgewirkt hat
Inklusive Angebote im Herbst, um die Zementierung der Bildungsungleichheit zu verhindern
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